„Es ist schwer, ein Gott zu sein“ (2015): Kritik zum russischen Monumental-Film

Christian Neffe 18. September 2015 0
„Es ist schwer, ein Gott zu sein“ (2015): Kritik zum russischen Monumental-Film

Sechs Jahre dauerten die Dreharbeiten, sechs weitere Jahre brauchte es für die Postproduktion: Es ist schwer, ein Gott zu sein ist das genaue Gegenteil eines filmischen Schnellschusses, das wird schon nach wenigen Minuten klar. Leichte Unterhaltung sieht jedenfalls anders aus. Wer sich diesen Film anschaut, sollte sich darüber klar sein, dass er sich einer großen Herausforderung stellt. Warum sich das Ganze dennoch lohnt, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Irre und Wirre

Schneefall. Das erste Bild zeigt einen Teich, dann schwenkt die Kamera langsam nach oben und offenbart ein spätmittelalterliches Dorf. Eine Stimme aus dem Off erklärt, dass das hier nicht die Erde sei – aber immerhin ein erdähnlicher Planet, auf dem jedoch nie eine Renaissance, ein Auf- und Ausbruch aus der düstersten Epoche der Menschheit, stattgefunden hat. Eine Gruppe von Forschern sei nun in diese Welt geschickt worden, um sie zu dokumentieren.

Es ist schwer, ein Gott zu sein wirft einen ins kalte Wasser, etwaige Erläuterungen zum Geschehen sind selten und dann auch eher verwirrend denn dem Verständnis dienlich. Kaum etwas von dem, was hier zu sehen ist, scheint zunächst irgendwie Sinn zu machen: sämtliche Figuren verhalten sich wie Irre, Kausalität und Stringenz wirken in diesem Film wie Fremdworte. Dass es keine deutsche Synchronisation gibt, sondern das Ganze lediglich im russischen Originalton mit Untertiteln präsentiert wird, macht die Sache nicht einfacher. Ein Versuch zu erklären, was in den 177 Minuten Laufzeit passiert, würde entweder scheitern oder im allerbesten Falle Kopfschütteln und Verwirrung hervorrufen.
Deshalb sei nur so viel gesagt: Die Geschichte ist (zumindest bei der ersten Sichtung) nur mit äußerster Mühe und selbst dann noch kaum zu greifen. Wer die Buchvorlage nicht kennt, wird sich regelmäßig eingestehen müssen, dass er einfach nicht begreift, über wen oder was hier gerade gesprochen wird und wie er diesen oder jenen Dialog zu verstehen hat.

Die Ästhetik der Hässlichkeit

Das ist aber auch gar nicht der Punkt dieses Films. Es ist schwer, ein Gott zu sein ist ein Film, der zur Gänze von seiner Ästhetik und Atmosphäre lebt. Und meine Güte, was hier geboten wird ist mit dem Wort „epochal“ nicht einmal ansatzweise erfasst. Was bereits im Trailer aufgefallen ist und sich über die gesamte Länge des Filmes trägt, ist der unfassbare Detailreichtum, mit dem an Kostüme, Requisiten und Kulissen herangegangen wurde. Das Ergebnis ist ein Look, der jegliche „Cleanliness“ einer typischen (und selbst einer aufwändigeren) Hollywood-Produktion vermissen lässt. Regisseur Aleksei German hatte sich offensichtlich vorgenommen, die Vision einer abartig hässlichen Welt Wirklichkeit werden lassen. Und das ist ihm absolut gelungen.

Nichts, aber auch wirklich gar nichts vom hier Gezeigten ist in irgendeiner Weise schön oder klassischen Sinne ästhetisch. Der Boden ist bedeckt von Müll und anderem Unrat. Schlamm, Schweiß und Fäkalien sind so normal, wie sie es eben im Mittelalter waren. Und Hygiene ist für die größtenteils entstellte Bevölkerung ohnehin etwas gänzlich Unbekanntes. Man ist direkt froh darüber, dass es (noch) kein Geruchskino gibt – und kann sich dennoch genauestens vorstellen, wie ekelerregend der allgegenwärtige Gestank dieser Welt sein muss. Dabei hätte man keine klügere Entscheidung treffen können, als das Ganze in Schwarz-Weiß zu drehen.

Dass der Film einen solch direkten und bleibenden Eindruck hinterlässt, liegt nicht zuletzt an der Kameraarbeit. Die zeichnet sich nicht etwa durch besonders elegante Schwenks und Fahrten aus, sondern durch die minimale räumliche Distanz, die sie zum Geschehen hat. Immer in Bewegung und vor allem: immer nah dran. Dieses Credo sorgt nicht nur für starke Bilder; es trägt – neben gelegentlichen Blicken bzw. Ansprachen in die Kamera sowie der Abwesenheit nondiegetischer Musik – auch dazu bei, dass der pseudo-dokumentarische Anspruch von Es ist schwer, ein Gott zu sein vollends aufgeht.

Fazit

Aleksei German gelingt mit diesem Film posthum etwas Außergewöhnliches: er kreiert eine vollständige Ästhetik des Hässlichen, des Abscheulichen und Widerwärtigen, die den Blick des Zuschauers selbst dann, wenn das erigierte Gemächt eines Esels für mehrere Sekunden ins Bild gesetzt wird, auf die Leinwand oder den Bildschirm zu bannen vermag. Man kann das entweder Kunst nennen oder ihm vorwerfen, den Voyeurismus des Publikums bedienen zu wollen. Doch am Ende steht ein Film, der trotz diverser narrativer Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten eine unglaubliche (ästhetische) Faszination ausstrahlt und vermutlich mehr bleibende Eindrücke hinterlässt, als sämtliche Hollywood-Produktionen dieses Jahres zusammen. Kein einfacher Film, zweifellos, und auch keiner, den man unbedingt gesehen haben muss – aber einer, den man gesehen haben sollte.

Video & Beitragsbild: (c) Bildstörung

„Es ist schwer, ein Gott zu sein“ (2015): Kritik zum russischen Monumental-Film

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