„Intrige“ und „The Report“: Lernt aus euren Fehlern!

Marie-Hélène Lefèvre 9. Februar 2020 0
„Intrige“ und „The Report“: Lernt aus euren Fehlern!

Was haben das Historiendrama eines Skandalumwitterten Regisseurs und der zweite Langfilm eines unbekannten Autors gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts. Auf den zweiten Blick aber wird klar, dass beide Filme eine Mahnung sind, Fehler im System aufzudecken und die Lehren daraus nicht zu vergessen.

Schritt 1: Der Fehler im System

In „Intrige“ („J’accuse“) inszeniert Regisseur Roman Polanski (nach einem Roman von Robert Harris) den wahren Fall des jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus, der Ende des 19. Jahrhunderts von der Armee unschuldig der Spionage bezichtigt und dafür verurteilt wird. Picquart, ein überzeugter Armee-Angehöriger, wird Chef des französischen Nachrichtendienstes (gespielt von „The Artist“-Star Jean Dujardin). Er findet Beweise, die nicht nur die Unschuld des Verurteilten belegen, sondern auch zeigen, dass das Militär Dreyfus falsche Beweise untergejubelt hat. Fortan setzt er alles daran Gerechtigkeit herzustellen.

Auch in „The Report“ von Scott Z. Burns (Autor von Soderberghs „Die Geldwäscherei“) kämpft Senatsmitarbeiter Daniel Jones (gespielt von Star Wars-Bösewicht Adam Driver) für die Wahrheit innerhalb des Systems, an das er glaubt: Er wird als Ermittler damit beauftragt, die Verhörmethoden der CIA nach dem 11. September zu überprüfen. Er kommt zu dem Schluss, dass die „erweiterten Verhörmethoden“ (ein verharmlosender Begriff für Foltermethoden wie Waterboarding), entgegen der Behauptung der CIA, keine Erkenntnisse gebracht haben und wissentlich gegen die Menschenrechte verstoßen wurde.

Beide Protagonisten sind Teil des Systems, das die Fehler begangen hat, doch anstatt sie dafür zu belohnen, werden Picquart und Daniel Steine in den Weg geworfen: Kollegen, Chefs und Behörden versuchen ihre Arbeit zu diskreditieren, und als das nicht funktioniert, ihre Person. So sieht sich Picquart plötzlich selbst von seinen Vorgesetzten als Mitglied einer erfundenen jüdischen Verschwörungsgemeinschaft bezichtigt und Jones wird versucht Verrat nachzuweisen.

Schritt 2: Das System versagt

Und damit beginnt das Ausmaß sichtbar zu werden: Denn das eigentliche Problem ist nicht, dass ein Fehler gemacht wurde, sondern dass dieser Fehler nicht eingestanden und mit aller Gewalt vertuscht wird.

Beide Figuren lassen sich nicht beirren und was nach der akribischen und nüchternen Suche nach der Wahrheit folgt, ist der beschwerliche Kampf ihrer Anerkennung. Es ist dabei auffällig, mit welcher Nüchternheit und Faktentreue beide Filme versuchen diese Fälle nachzuerzählen.

Die Kamera und die Art und Weise wie die Regisseure die Handlung inszenieren unterstützt die Bemühung um Sachlichkeit. Daten und Orte werden ähnlich wie bei einer Dokumentation immer eingeblendet, Charaktere beruhen auf echten historischen Figuren, und die Bildauswahl ist unaufgeregt, genauso wie ihre Protagonisten, über deren Innenleben wir wenig erfahren. Was wir als Zuschauer sehen, ist ihre Beharrlichkeit, ihr dringender Wunsch nach Wahrheit und ihr tiefer Glaube an das System, aus dem sie selbst entstammen und dem sie dienen.

Was beide Figuren versuchen zu zeigen, ist das Versagen des Systems: durch das Vertuschen seiner Fehler unter der Missachtung seiner eigenen Regeln. In „Intrige“ ist es systematische Diskriminierung und Rassismus und in „The Report“ die Missachtung der Menschenrechte im Anti-Terror-Kampf.

Das wahre Drama beider Geschichten entfaltet sich nach der aufwendig dargestellten Rekonstruktion der Wahrheit (dem aufwendigen Zusammensetzen zerrissener Briefe und dem Durchsehen unzähliger Unterlagen) und zeigt sich in der Aufdeckung der Vertuschungsversuche der Verantwortlichen.
Diese sitzen in beiden Filmen sehr weit oben in der Hierarchie und empfinden das Prinzipientreue Verhalten der Protagonisten als persönlichen Angriff auf ihre Macht. Deshalb setzen sie alles daran, Picquart und Daniel daran zu hindern ihre Erkenntnisse öffentlich zu machen. Der fast aussichtslose Kampf gegen die Windmühlen beginnt!

Schritt 3: Der kurze Lerneffekt

Da sich in beiden Fällen letztendlich doch die gefundene Wahrheit der Protagonisten durchsetzen konnte, enden die Filme zur Genugtuung des Zuschauers gut. Ausgleichende Gerechtigkeit jedoch, das zeigen beide Filme auf, gibt es hier (und in Realität) nicht: Verantwortliche werden trotz erfolgreicher Aufdeckung nicht bestraft, und der Prozess dauert viele Jahre an.

Die Stärke beider Filme liegt aber darin uns mit einer nüchternen Erzählweise vor Augen zu führen, was die Figur der kalifornischen Senatorin Feinstein in „The Report“ präzise über ihr eigenes System der Regierung sagt:

„Die Geschichte wird uns an unserem Einsatz für Gesetz und Gerechtigkeit messen, und für den Mut der Wahrheit – der hässlichen Wahrheit – ins Gesicht zu sehen und zu sagen, niemals wieder.“

Dabei drängt sich unweigerlich die unangenehme Frage auf, was aus bereits begangenen Fehlern gelernt wurde?
Die Filme haben beide angesichts der aktuellen Geschehnisse, dem wiederkehrenden Antisemitismus und einem der Folter zugeneigten US-Präsidenten, immer noch Aktualität und Dringlichkeit, und führen schmerzhaft vor Augen, dass der Lerneffekt nicht von Dauer und deshalb die Erinnerung an bereits vollzogene Fehler sehr wichtig ist.

„Intrige“ hat zudem sehr viel Aufmerksamkeit erhalten, weil dessen Regisseur Polanski der Vergewaltigung angeklagt ist. Die Frage, ob er im Stoff sein eigenes Schicksal reinszeniert, kann unmöglich geklärt werden, und darf keinesfalls vom eigentlichen Thema des Films ablenken.

Denn dies ist – und das haben beide Filme gemeinsam – die Mahnung, dass Mut zur Anprangerung und der Wille aus Fehlern zu lernen keine Selbstverständlichkeit sind und es nie sein werden. Und gerade weil der Lerneffekt erschreckend kurz anhält, braucht es solche Filme, um die Erinnerung an unsere Fehler wach zu halten.

„Intrige“ ist aktuell im Kino zu sehen. „The Report“ ist über Amazon Prime verfügbar.

 

 

 

Beitragsbilder: © Programmkino & © imdb

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