Kritik zu Quentin Tarantinos „The hateful eight“ – Nächster Stopp: Minnies Miederwarenladen

Tobias Ritterskamp 16. Januar 2016 4
Kritik zu Quentin Tarantinos „The hateful eight“ – Nächster Stopp: Minnies Miederwarenladen

Knapp drei Jahre sind vergangen, nachdem mit dem Western Django Unchained, der letzte Tarantino-Streifen die deutschen Lichtspielhäuser beglückte. Und nun kommt The hateful eight in die Kinos, die achte Regiearbeit Quentin Tarantinos, zu der der 87-jährige italienische Filmkomponist Ennio Morricone erneut den Soundtrack beigesteuert hat. Bei der diesjährigen Oscarverleihung hat der Italiener die Möglichkeit erstmals, vom Ehrenoscar 2007 abgesehen, einen Goldjungen in der Kategorie „Beste Filmmusik“ entgegenzunehmen. Schon bei den Golden Globes 2016 hat Morricone eine Auszeichnung in dieser Kategorie erhalten. Cineasten können sich jedenfalls glücklich schätzen, denn der Kill Bill– Regisseur war kurz davor, das Projekt zu beerdigen, nachdem das Drehbuch im Jahre 2013 unautorisiert an die Öffentlichkeit gelangt war.

Nun also, nach Django Unchained, schon wieder ein Western von Tarantino, doch eine Analogie offenbart sich erst bei der Betrachtung eines anderen Films. In Tarantinos brillantem Spielfilmdebüt Reservoir Dogs von 1992 sind es einige Gangster, die sich nach einem missglückten Coup in einer Lagerhalle treffen und rumrätseln, wer denn den Plan verraten haben könnte. Am Ende steht ein Showdown, der ohne Blut nicht auskommt. In Tarantinos The hateful eight hingegen ist der filmisch dominierende Mikrokosmos keine Lagerhalle, sondern eine Holzhütte. Auch hier, so viel sei verraten, wird es am Ende etwas blutig. Wie aber kann ein Film funktionieren, wenn er sich größtenteils an nur einem Ort abspielt? Eine solche Entscheidung zu treffen, war jedenfalls sehr mutig von Quentin Tarantino.

Der Film setzt einige Jahre nach Ende des Sezessionskriegs im verschneiten Wyoming ein. Es ist eine anmutig erscheinende Berglandschaft, durch die sich eine Kutsche ihren Weg nach Red Rock bahnt. Hier will der Kopfgeldjäger John „The Hangman“ Ruth (Kurt Russell) die Gefangene Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) abliefern. Sie ist die furchtlose sowie animalische Psychobraut, in der Schmerz und Lust miteinander verschmelzen und einen Fetisch gebären. Eine Oscarnominierung als Nebendarstellerin gab es zu Recht. Er verkörpert den schnauzbärtigen Kopfgeldjäger mit einer, je nach Sichtweise, Schwäche für Recht und Gesetz.

Was für Absichten verbergen sich hinter diesem Blick? © Universum Film

Was für Absichten verbergen sich hinter diesem Blick? © Universum Film

Unterwegs nehmen die beiden den früheren Soldaten Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson), nun ebenfalls Kopfgeldjäger, sowie Chris Mannix (Walton Goggins), der behauptet, der neue Sheriff von Red Rock zu sein, auf. Erst ein Schneesturm zwingt die Reisenden zu einem Zwischenstopp in Minnies Miederwarenladen. Eine recht gemütliche Holzhütte, deren größtes Manko eine demolierte Holztür ist, die immer wieder zugenagelt werden muss, damit der Schneesturm sie nicht aufstößt. Hier treffen sie auf einen Haufen ominöser Gestalten: Da ist zum einen der Mexikaner Bob (Demian Bichir), die angebliche Vertretung von Minnie, der maulfaule Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), der am Sessel klebende ehemalige Südstaaten-General Sanford Smithers (Bruce Dern) sowie der pedantisch-eloquente Oswaldo Mobray (Tim Roth), der Henker von Red Rock, dem in seiner Verkörperung durch Roth ähnlich herrlich Maliziöses anhaftet wie Christoph Waltz in Inglourious Basterds und Django Unchained. Schon bald wird klar, dass das Zusammentreffen in der Hütte nicht dem Zufall geschuldet ist. Das Misstrauen innerhalb der Gruppe nimmt zu.

Beinahe alle Hauptdarsteller (die titelgebenden Acht) sind alte Bekannte aus dem Tarantino-Universum. Allen voran sei auf Samuel L. Jackson verwiesen, der nun bereits zum sechsten Mal mit seinem Lieblingsregisseur zusammenarbeitet. Auch wenn einzig Jennifer Jason Leigh und Demian Bichir noch nie zuvor mit Tarantino gedreht haben, so fügen sie sich doch exzellent in das Tarantino-erfahrene Kollektiv ein. Niemand wird an die sprichwörtliche Wand gespielt. Dazu bietet Tarantino nämlich keine Gelegenheit, denn keine einzige Person ist hier in dem Maße mit einem Gegenüber konfrontiert, das es ihm/ihr erlauben würde, das Können des anderen zu überflügeln. Schauspielerische Glanzleistungen werden natürlich dennoch erbracht. Es ist wundervoll Tim Roth dabei zuzusehen wie er mit gekonnt eloquenter Coolness über den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und der Suche nach Gerechtigkeit durch Selbstjustiz schwadroniert oder Jennifer Jason Leigh mit einem Hauch psychotischer Flapsigkeit es geradezu darauf anlegt malträtiert zu werden.

Daisy Domergue ist alles andere als ein Unschuldslamm © Universum Film Daisy Domergue ist alles andere als ein Unschuldslamm © Universum Film

Quentin Tarantino sah sich schon des Öfteren dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt, aufgrund der häufigen Verwendung des Wortes „Nigger“ in seinen Filmen. Auch in The hateful eight kommt der Begriff so einige Male vor, doch die leichtfertige Abstempelung Tarantinos zum Rassisten sollte man nicht einfach so stehen lassen. In einer Szene offenbart der von Jackson gespielte Major Marquis Warren John Ruth, dass der angeblich an ihn adressierte Brief von Präsident Lincoln lediglich ein Vorwand gewesen sei, um sich einen Platz in der Kutsche zu ergattern. Seinen rassistischen Kulminationspunkt findet der Film jedoch in einer Rückblende, die zeigt, wie sich Warren in phallozentrischer Position seine Dominanz gegenüber dem weißen Mann bestätigen lässt, natürlich zum Entsetzen des ehemaligen Konföderierten-Generals Smithers. Ob nun intendiert oder nicht, lassen sich diese beiden Szenen durchaus als Kritik Tarantinos auffassen, wenn man in ihnen die pervertierte Umkehrung der gesellschaftlichen Realität in den USA sieht. Überspitzt und die phallozentrische Position beibehaltend, kann man sich fragen, ob es nicht seit jeher und nach wie vor der schwarze Mann ist, der seine Nudel in den Mund des weißen Mannes steckt, um die vermeintliche Dominanz von letzterem zu bestätigen. Genauso gut können die beiden Szenen aber auch Ausdruck von Frustrationen darüber sein, wie sehr der in der amerikanischen Gesellschaft tief verankerte Rassismus noch immer seinen Schatten wirft. Dann aber ist das weniger Kritik, als vielmehr der Versuch des Regisseurs mit den geschilderten Szenen den Frust durch eine Art der Selbstbefriedigung zu substituieren. Das Potenzial zum Polarisieren hat der Film allemal.

Auch wenn The hateful eight sich hauptsächlich an einem Ort abspielt, so funktioniert dieser Film dennoch, denn er kreiert eine Spannung zwischen den so unterschiedlichen Charakteren, die nur darauf wartet, sich in einer Spirale der Gewalt Bahn zu brechen. Er lebt von der Macht der Sprache, ja bedeutungsgeschwängerten Dialogen und Monologen, die gerade deshalb nicht ins Leere verlaufen, sondern nachhallen, denen man gerne zuhört, zuhören sollte, auch wenn es sich um (vermeintliches) Schwadronieren handelt. Insofern erweist sich die Laufzeit von circa drei Stunden als nicht sonderlich problematisch, zumal das mögliche Aufkommen von Langeweile durch die Unterteilung des Films in Kapitel kanalisiert wird. The hateful eight schreitet in seiner Entwicklung zwar ziemlich langsam voran, vielleicht etwas zu zögerlich, doch er ist dennoch ein kompromissloser, spannungsgeladener Westernthriller mit einem großartigen Schauspielerensemble. Tarantino (almost) at its best.

The hateful eight läuft am 28. Januar in den deutschen Kinos an. Wer in den Genuss der Roadshow-Version im Ultra Panavision 70mm Format inklusive einer von Ennio Morricone komponierten Overtüre kommen will, kann in Deutschland zwischen vier ausgewählten Kino wählen: Zoo Palast (Berlin), Savoy (Hamburg), Lichtburg (Essen) und Schauburg (Karlsruhe). Insbesondere das atemberaubende Breitbildformat bringt die Schneelandschaft exzellent zur Geltung, lässt die Zuschauer Teil einer „Intimität“ werden und trägt mit seinem Format zur Spannungssteigerung sowie Erzeugung eines klaustrophobischen Gefühls bei.

Beitragsbild: © Universum Film

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