Mord im Orient-Express (2017): Kritik zur neusten Auflage des Klassikers

Christoph 11. November 2017 1
Mord im Orient-Express (2017): Kritik zur neusten Auflage des Klassikers

Der Film „Mord im Orient-Express“ (2017) ist bereits die fünfte (!) Verfilmung des Krimis von Agatha Christie. Er wurde in den 70er Jahren am erfolgreichsten verfilmt (1 Oscar für Ingrid Bergman und 6 Nominierungen im Jahre 1975). Die umfangreiche Starbesetzung der diesjährigen Verfilmung und deren Trailer haben mich nicht wirklich erwartungsvoll gestimmt, aber Schneegestöber in den Bergen, zischende Dampflokomotiven und spannende Krimis passen gut zur heranziehenden kalten, dunklen Jahreszeit. Ich betrat den Orient-Express als Neuling und wurde mit einem Ruck in eine Zeit befördert, in der die Filme noch den Schauspielern gehörten und nicht den Spezial-Effekten. Für alle, die wie ich keine Ahnung haben was sich hinter dem Begriff „Mord im Orient-Express“ verbirgt, eine kleine Einführung:

Der selbsternannte „beste Detektiv der Welt“ Hercule Poirot, gespielt von Kenneth Branagh („Dunkirk“), ist nach der erfolgreichen Lösung eines Diebstahls mit dem Luxus-Zug des „Orient-Express“ auf dem Weg zurück nach Europa. Er bekommt noch knapp einen Platz in einem Schlafabteil und lernt am ersten Tag der Reise die wenigen und sehr interessanten Passagiere kennen. Kurz bevor der Zug von einer Lawine in den Bergen erfasst wird, ermordet einer der Reisenden den Ganoven Edward Ratchett (Johnny Depp). Der Zug steckt fest und Poirot kann sich auf die Suche nach dem Mörder oder der Mörderin begeben. Wie es sich für einen guten Krimi gehört, haben alle Verdächtigen auch etwas zu verbergen. Die Ermittlungen können beginnen!

Um Schauspieler wie Michelle Pfeiffer („Mother„), Johnny Depp („Pirates of the Caribbean„), Penélope Cruz, Judi Dench und Willem Dafoe in Schach zu halten, braucht es jemanden aus ihrer Zunft, um Regie zu führen. Diese Aufgabe geht zusätzlich zur Hauptrolle an Kenneth Branagh. Eine Geschichte, die vom Schauspiel ihrer Akteure lebt, wie es hier der Fall ist, ist immer gut beraten, einen Darsteller in den Regiestuhl zu setzen. Davon profitieren nicht nur die Top-Stars, sondern auch Darsteller, die noch keine Trophäen auf dem Kaminsims haben, wie Daisy Ridley, Leslie Odom Jr. oder Olivia Colman. Sicherlich reduziert sich die Handlung auf Kosten der Spannung manchmal etwas zu sehr auf die Dialoge und Verhöre, aber bei „Mord im Orient-Express“ lohnt es sich immer ganz genau hinzuhören, um einen versteckten Hinweis auf die Mordtat zu erhalten. Hercule Poirot unterscheidet sich von Kollegen aus dem fiktiven Gewerbe, wie zum Beispiel Sherlock Holmes, durch seine sehr menschliche Seite, seine neurotische, aber liebenswerte Art und den moralischen Anspruch an seine Arbeit. Er hat durchaus auch ein sehr großes Ego mit im Gepäck, aber er wirkt durch seine gefühlvolle Art etwas nahbarer und somit auch realer.

Es bleibt aber auch Platz in der Geschichte für gesellschaftskritische Anspielungen. Nicht nur auf die eisige Politik der 30er Jahre wird hingewiesen, sondern auch wir in der Gegenwart werden angesprochen. Die vielen Statisten im ersten Akt, die großen Kulissen und die prachtvolle Filmmusik von Patrick Doyle zeigen, wie Filme früher eingeleitet wurden. Heute werden gleich die ersten sinnfreien Actionszenen verschossen oder es wird sich sinnlos eines Zeitsprungs bedient, der sämliche Spannung raubt. Die Requisitenkünstler und Bühnenbildner haben überzeugende Arbeit geleistet und die computeranimierten Effekte fügen sich fließend in die märchenhafte Optik des Films ein. Wen es damit immer noch nicht von den Gleisen geweht hat, bekommt durch die punktgenaue Arbeit der Tondesigner den Schnee ins Gesicht.

„Mord im Orient-Express“ ist nicht nur ein spannender Krimi für diejenigen, die diese Geschichte noch nicht kennen, sondern auch eine Reise in das Kino der magischen Fähigkeiten, spannenden Schauspielern und sinnvollen, wie auch beeindruckenden Kulissen und Effekte. Der Film kann die Beschuldigung, nur eine Kopie des Filmklassikers zu sein, nicht abschütteln, aber insgeheim würde ich mich über weitere Neuauflagen von Geschichten um den Detektiv Hercule Poirot freuen, wie es von Twentyth Century Fox angedacht ist. Die Kinokassen müssen hier jedoch noch Überzeugungsarbeit leisten.

Wer die Möglichkeit hat, sollte sich „Mord im Orient-Express“ als analoge 70-mm-Version in Originalsprache ansehen. Diese spannende Reise braucht die treibenden Motoren der alten Projektoren und das Können der Sprache ihrer Schauspieler.

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Mord im Orient-Express (2017): Kritik zur neusten Auflage des Klassikers

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