„Straight Outta Compton“ (2015) Kritik: Gründungsmythos des Gangsta-Rap

Philipp Schmidt 9. September 2015 2
„Straight Outta Compton“ (2015) Kritik: Gründungsmythos des Gangsta-Rap

F. Gary Grays neuer Film erzählt uns die Geschichte der HipHop-Supergroup N.W.A. um Dr. Dre, Ice Cube und Eazy-E. Ganz im aktuellen Trend der neuen Hollywood-Kostümfilme (vgl. etwa „Liberace“, „American Hustle“ oder zuletzt „A Most Violent Year“) werden wir detailverliebt ins Los Angeles Ende der 1980er Jahre entführt: Jerry-Curl-Vokuhilas, schlabberige Fila-Pullies und weiße Ferrari Testarossas. Trotzdem sieht das alles nicht antiquiert aus, denn Grays Film ist nach den Krawallen von Ferguson von geradezu absurder Aktualität. Sehenswert ist er noch dazu und hörenswert sowieso!

Drogen, Gewalt und Polizei-Willkür als Nährboden einer neuen Musik

1988 brennt es in Los Angeles Problembezirk Compton lichterloh: Rivalisierende Gangs, die Schulbusse überfallen, Arbeitslosigkeit, Armut und eine rassistische Polizei. Der Drogendealer Eric Wright (Jason Mitchell) aka Eazy-E, der arbeitslose Andre Young (Corey Hawkins), auch bekannt als Dr. Dre und der Schüler O’Shea Jackson alias Ice Cube (gespielt vom Sohn des echten Ice Cube) treffen in diesem Brennpunkt aufeinander. Dr. Dres progressive Beats, Eazy-Es Flow und Ice Cubes rücksichtslose Texte bringen die Saiten einer verlorenen Generation schwarzer Amerikaner zum Schwingen. In einer der stärksten Szenen von „Straight Outta Compton“ ist die Kraft dieses Gangsta-Rap (ein Wort, das übrigens durch das erste N.W.A.-Album „Straight Outta Compton“ erst geprägt wurde) greifbar zu spüren: Entgegen aller Drohungen der Detroiter Polizei, die bei der ersten N.W.A.-Tour versucht, zu verhindern, dass der Protestsong „F*** the Police“ gespielt wird, erklingt in die Stille einer Song-Pause hinein Ice Cubes Stimme. Nachdem er das tobende Publikum bittet, geschlossen die Mittelfinger empor zu strecken, richtet er sich an Dr. Dre am Mischpult: „Yo, Dre, i got something to say!“ Und zusammen mit den Fans sowie ausnahmsweise auch in Untertiteln übersetzt, schleudern sie den Cops ihre Meinung entgegen.

Eine klassische Bad American Dream-Erzählung

Dem rasanten Aufstieg folgt der Zerfall der Band in Vetragsstreitigkeiten und dem, was man in der Szene gemeinhin als beef bezeichnet: Der Austausch von wütenden und beleidigenden Battle-Raps oder disses. Die Figur des weißen Managers Jerry Heller (Paul Giamatti) zieht die Rapper nach realem Vorbild über den Tisch, Eazy-E hält zunächst an ihm fest, was mit Ice-Cube, Dr. Dre sowie MC Ren und DJ Yella die übrigen Bandmitglieder zur Abspaltung bringt. So folgt auf Tourneen, Drogen- sowie Alkoholexzesse, Poolpartys und Gangbang-Orgien klassischerweise der Kater. Hier und anderswo erinnert das Biopic „Straight Outta Compton“ an tragische rags-to-riches-Filmnarrative à la „Scarface“ oder „Blow“, in denen dem ekstatischen Erfolg einer gebeutelten Hauptfigur das jähe Erwachen folgt.

Fundierte HipHop-Historiographie

F. Gary Gray ist in Sachen Rap und HipHop kein unbeschriebenes Blatt. Schon Anfang der 1990er Jahre hat er für Ice Cube und Dr. Dre, aber auch für R&B-Größen wie TLC teils preisgekrönte Musikvideos gedreht. Mit „Friday“ von 1995 geht außerdem ein Szene-Kultfilm auf seine Rechnung. Nicht umsonst also fühlt man sich stellenweise bei bouncenden Low Ridern an Klassiker des HipHop-Musikvideos wie „Nuthin‘ but a G Thang“ o.ä. erinnert. Mit „Straight Outta Compton“, der keinesfalls nur für HipHop-Liebhaber packend ist, hat Gray nun dem West-Coast Gangsta Rap und dessen Gründungsmythos zur Visualisierung verholfen. Dem Kenner hat der Regisseur freilich einige visuelle und akustische Ostereier zur Suche verstreut. Die Figuren Snoop Dogg und 2Pac, die Klassiker „Flava In Ya Ear“ von Craig Mack und „C.R.E.A.M“ (Ja, Akronyme sind im Rap wichtig!) vom Wu-Tang Clan sind nur die offensichtlichsten davon. Wer also einmal verstehen will, wer Apple die Marke hinter den schicken Kopfhörern verkauft hat („Beats by Dre“), wer Eminem und 50Cent auf seinem Label „Aftermath“ groß rausgebracht hat oder wer hinter den Songs „Still D.R.E.“ oder „Next Episode“, die heute noch auf keiner HipHop-Party fehlen dürfen steckt, der sollte sich „Straight Outta Compton“ dringend ansehen. Und wer G-Funk, HipHop und Rap ganz allgemein mag, der ohnehin!

Prädikat: Sehens-, vor allem hörenswert!

Alles in allem ist „Straight Outta Compton“ also trotz Überlänge eine sehr kurzweilige Angelegenheit – nicht nur für HipHopper. Schau- und Hörwert können die bloß mittelmäßige Story wettmachen. Dazu kommt der brandaktuelle Bezug zur Debatte um willkürliche Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA. F. Gary Gray erinnert seine Landsleute, dass sich bald 25 Jahre nach den L.A. Riots erschreckend wenig geändert zu haben scheint.

Übrigens: Wer sich interaktiv in Gangkämpfe und das Los Angeles der frühen 1990er Jahre werfen will, dem sei „GTA: San Andreas“ von Rockstar Games ans Herz gelegt.

„Straight Outta Compton“ läuft in den deutschen Kinos seit dem 27. August.

Beitragsbild (c) Universal Pictures

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