Unbreakable Kimmy Schmidt: Kritik zur 1.Staffel der Netflixserie

Marie-Hélène Lefèvre 29. September 2015 1
Unbreakable Kimmy Schmidt: Kritik zur 1.Staffel der Netflixserie

Es gibt hervorragende Serien, die im Fernsehen laufen und Folge für Folge ein großes Publikum anziehen. Es gibt aber auch hervorragende Serien, wie „Unbreakable Kimmy Schmidt“, die nie gesendet werden und stattdessen darauf angewiesen sind, online geschaut zu werden.
Wie klein deren Zuschauerschaft tatsächlich ist, lässt eine Studie zum deutschen Medienkonsum erahnen. Gerade einmal 34% der Teilnehmer nutzen demnach Streaming-Anbieter wie Amazon Prime Instant Video, Google Play, Maxdome, iTunes und Netflix. Das macht deutlich, dass Amazon- und Netflixserien hierzulande nie den Bekanntheitsgrad und das Publikum erreichen werden, die sie haben könnten, wenn sie auch im deutschen Fernsehen zu sehen wären. Verdient hätte es die Mehrheit der Eigenproduktionen auf jeden Fall. Ein Grund mehr für Filmverliebt über die Webserien zu schreiben, die definitiv ein Streaming wert sind. „Unbreakable Kimmy Schmidt“ ist eine davon. Die Comedy-Serie ist seit Frühjahr dieses Jahres auf Netflix abrufbar.

Vom Bunker in die Großstadt

Die 13 Folgen der ersten Staffel handeln von Kimmys Erlebnissen, die nach 15 Jahren aus dem Bunker des gefährlich charmanten Sektenführers Richard in der Provinz von Indiana befreit wird. Gemeinsam mit drei anderen Frauen wurde sie Ende der 90er Jahre von Richard entführt und im Glauben gelassen, dass die Welt außerhalb des Bunkers untergegangen sei. Die Medien stürzen sich auf die spektakuläre Befreiung und Kimmy und ihre drei Leidensgenossinnen gelangen als sogenannte „Maulwurfsfrauen“ zu landesweiter Bekanntheit. Als sie sich für ein Interview in New York aufhalten, beschließt Kimmy kurzerhand nicht mehr nach Indiana zurückzukehren, sondern ein neues, selbstbestimmtes Leben in NYC zu beginnen. Voller Euphorie macht sich die 29-Jährige auf die Suche nach einem Job und einer Wohnung. Um unerkannt zu bleiben, nennt sie sich fortan Smith anstatt Schmidt. Sie findet Anstellung als Kindermädchen im Haushalt der äußerst reichen Familie Voorhees und muss sich dort sowohl um die zwei Kinder als auch um die neurotische Mrs. Voorhees kümmern. Bei ihrer Wohnungssuche ist Kimmy auch schnell fündig: Die kauzige Vermieterin Lilian wählt sie als Mitbewohnerin für ihren exzentrischen Mieter Titus aus, der die Miete als erfolgloser Sänger nicht bezahlen kann. Doch Kimmy kann ihre Vergangenheit nicht abzuschütteln: Ihre Identität droht aufzufliegen, als die aufmüpfige Tochter von Mrs. Voorhees versucht herauszufinden, wer ihre Nanny wirklich ist. Und zu allem Überfluss erhält Kimmy bald eine gerichtliche Vorladung, um als Zeugin im Prozess gegen Reverend Richard auszusagen.

Zu frech für das US-Fernsehen?

Bei der Comedy-Serie mit dem sperrigen Titel hatte Netflix Glück. Die Serie war ursprünglich für den amerikanischen Sender NBC gedacht und produziert worden. Netflix kaufte die Serie noch vor deren Erstaustrahlung auf und gab ihr eine neue Heimat im Internet. Warum NBC die Serie abgab, begründete der Sender im vergangenen Jahr damit, dass die Comedy-Serie nicht in das vorwiegend mit Drama-Serien gespickte Programm reinpasse. Die Boulevardzeitung New York Post vermutete einen anderen Grund: Demnach war der Humor der Comedy-Serie nicht mit der hauseigenen Zensur des Senders zu vereinbaren. Deshalb wurde die Serie noch vor der Fertigstellung ihrer ersten Staffel weitergegeben. Letzteres bleibt reine (unbegründete) Spekulation; wahr hingegen ist, dass in der Serie zahlreiche Stereotypen über Geschlechterrollen, Ethnien und Orte durch den Kakao gezogen werden und dabei starke sozial- und medienkritische Töne mitschwingen. Was sich für den Einen plump anfühlt, weiß der Andere als sehr freche Kritik unter dem Deckmantel des Witzes zu erkennen. „Unbreakable Kimmy Schmidt“ ist voll von dieser Art von Humor und deshalb als kluge und unterhaltsame Serie wärmstens zu empfehlen.

Zurück in die Zukunft

Die Serie besticht zum einen durch seinen erwähnten Witz und die Komik, die maßgeblich auf Kimmy zurückzuführen ist. Sie, ihre Träume, Vorstellungen und Gewohnheiten entsprechen denen einer Jugendlichen aus den 90ern. Damit wirkt sie auf Andere als käme sie aus der Vergangenheit. Der zeitliche Unterschied ergibt einen unterschiedlichen Wissensstand und bildet eine sehr gute Steilvorlage, denn natürlich weiß Kimmy nicht, was E-Mails oder ein Selfie sind.
Darüber hinaus wartet die Serie mit sympathisch skurrilen Charakteren und herausragender Schauspielleistung auf, die alle Darsteller an den Tag legen. Vor allem Ellie Kemper, bekannt aus der amerikanischen Version von „The Office“, bietet als Kimmy eine energiegeladene Performance, die Spaß macht. Auch die Darsteller von Mitbewohner Titus, Vermieterin Lilian und Arbeitgeberin Jacquline Voorhees sind ausgezeichnet besetzt. Allen voran Mrs. Voorhees alias Jane Krakowski dürfte den Serienfans dabei bekannt vorkommen. Sie spielte bereits bei der Comedy-Serie „30 Rock“ eine der Hauptrollen, die genauso wie „Unbreakable Kimmy Schmidt“ von der US-Komödiantin Tina Fey, ihrem Ehemann Jeff Richmond und Robert Carlock geschrieben und produziert wurde. Auch Schauspieler Tituss Burgess hatte schon eine kleinere Rolle in „30 Rock“ bevor er in „Unbreakable Kimmy Schmidt“ Kimmys unterhaltsam divenhaften Mitbewohner spielte. Wie sich bereits an den Gesangseinlagen von Burgess erahnen lässt, ist er ausgebildeter Sänger und improvisierte zudem den Text zum überaus witzigen Video „Pinot Noir“ in Folge 6.
Es gibt einige Parallelen zwischen „30 Rock“ und „Unbreakable Kimmy Schmidt“, die die Handschrift von Tina Fey und ihrem Team ausmachen. Schon in „30 Rock“, das von den Erlebnissen der Schöpfer und Mitwirkenden einer wöchentliche Live-Show handelt, drehten sich die Witze oft um Geschlechterrollen, Großstädter und Medien – mit einer spürbar kritischen Haltung. Feys sehr gut ausgearbeitete Serienfiguren waren dabei stets genauso skurril wie äußerst sympathisch – so auch in „Unbreakable Kimmy Schmidt“. Ähnlich wie bei „30 Rock“ gibt es auch in Feys neuer Serie viele Gastauftritte anderer bekannter Schauspieler, unter anderem von Jon Hamm („Mad Men“), Dean Norris („Breaking Bad“), Richard Kind („Chaos City“) und Tina Fey selbst („30 Rock“, „Date Night“). Für die musikalische Untermalung und die eingängigen Songs innerhalb der Serie sorgte auch dieses Mal wieder Komponist Jeff Richmond.
Es ist beim Schauen von Vorteil, aber keine Voraussetzung, etwas Kenntnis über amerikanische Filme, Serien und der Popkultur mitzubringen, da die Serie mit einer Vielzahl an Anspielungen ausgestattet ist, die ohne dieses Wissen keine Pointe haben. Die deutsche Synchronisation ist hierbei überzeugend, doch wie üblich leiden die Wortspiele durch die Übersetzung.

„Females are strong as hell“

Die Kritik wäre nicht vollständig, wenn nicht etwas zum Titelsong gesagt wäre, der sich schon ab der ersten Folge als Ohrwurm etabliert. Verantwortlich für den Text zeichnet Komponist, Autor und Produzent Jeff Richmond, der das Fernsehinterview mit Reverend Richards Nachbar der amerikanischen Band The Gregory Brothers zur Überarbeitung überließ. Die Band erlangte durch ihre viralen Videos, die zu YouTube-Hits wurden, Bekanntheit. Unter dem Slogan „Songify This“, zu Deutsch etwa „mach es zum Lied“, verwandeln sie Fernsehnachrichten zu Liedern. So etwa 2010 mit dem Interview eines Bewohners eines von einem Kriminellen heimgesuchten Hauses, das als „Bed Intruder Song“ seit seinem Erscheinen über beeindruckende 129 Millionen Mal abgerufen wurde. Nach demselben Prinzip haben The Gregory Brothers die fiktive Berichterstattung über die Befreiung der vier Frauen als Remix gestaltet, so dass das Interview des Augenzeugens zum Lied wird.

Tina Fey hat mit „Unbreakable Kimmy Schmidt“ eine in allen Punkten überzeugende und ausgefeilte neue Comedy-Serie abgeliefert. So sehen es wohl auch Netflix und dessen Abonnenten, denn der Streaming-Anbieter hat bekannt gegeben, die Serie um eine weitere Staffel zu verlängern. Kimmy geht in die zweite Runde!