Was soll aus so einem Anderes werden als ein psychotischer Mörder? Regisseur und Drehbuchautor Todd Philipps erzählt mit Joker (2019) die Origin-Story eines der berühmtesten Bösewichte des Batman- und DC-Universums als in Gewalt kulminierende Pechsträhne – und als grandiose Reflexion über das Lachen.
In Gotham City ist der soziale Frieden in Gefahr: steigende Armut und Fremdenhass, hetzerische Medien, die über sich ausbreitendes Ungeziefer berichten. Das kommt einem natürlich irgendwie bekannt vor (und die Gesellschaftskritik von Joker ist oft bemerkt worden). In dieser Welt schlägt Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) sich als Miet-Clown durch. Arthur kommt aus der Scheiße – und die Beschissenheit seiner Verhältnisse ist konstant hoch. Er weiß längst, welche Körperteile zu schützen sind, wenn er wieder mal vermöbelt wird. Seine Agentur zieht ihm kaputte Werbeschilder vom Lohn ab, wenn sie an ihm kaputtgeschlagen wurden. Und gefeuert wird er schließlich für den Besitz einer Schusswaffe, die ihm ein Kollege zur Selbstverteidigung geschenkt hat. Wenn er abends nach Hause kommt, wäscht er seine pflegebedürftige Mutter. Die einzige Person, mit der er sprechen kann, eine Sozialarbeiterin, wird von der Stadt wegrationalisiert. Es läuft also ein Fass über, als er zunächst in Notwehr tötet, dann im rasenden Exzess seine ersten Morde begeht und sich schließlich in den Joker verwandelt.
Man hat sich gefragt: Ist Todd Philipps – vor zehn Jahren für den groben Hangover verantwortlich – der richtige Mann für diesen Stoff? Man muss feststellen: Er ist goldrichtig. Denn wie Hangover nicht nur Klamauk ist und wie es auch dort um Humor selbst geht, so geht es bei Joker ums Lachen in allen Facetten.
Arthur möchte die Leute zum Lachen bringen. Denn was zum Lachen bringt, das liebt man. Und wer von Herzen lacht, ist sorglos. Sein großes Idol Murray Franklin (Robert De Niro) ist Moderator einer Late-Night-TV-Show, über die ganz Gotham lacht. Deshalb versucht sich Arthur selbst als Comedian. Doch er selbst kann nicht von Herzen lachen. Er ist „niemals in seinem Leben glücklich“. Arthur leidet am Lachen. Sein bei Stress hervorbrechendes Gelächter ist pathologisch – ein Symptom seelischer Verletzungen. Seine Mutter findet, dass es unter diesen Voraussetzungen keine gute Idee ist, Comedian werden zu wollen („Muss man dafür nicht witzig sein?“). Die schlechten Witze schreibt Arthur in sein Tagebuch neben düstere Zeichnungen und Porno-Bildchen: Sein Humor wurzelt direkt bei den anderen Trieben. Der erste Auftritt in einem Comedy Club zeigt dann: Am Schlimmsten ist, wenn niemand lacht – oder man ausgelacht wird. Und dass wir als Zuschauer nicht besser sind, führt Philipps uns vor Augen: Auch wir lachen auf Kosten eines Kleinwüchsigen mit. In einer Szene lachen die Mächtigen Gothams einig über Charlie Chaplins Modern Times (1936). Gruppen definieren sich üauch ber das, was man lustig findet. Arthur sieht das: „Wie ihr entscheidet, was recht und unrecht ist, so entscheidet ihr, was lustig ist und was nicht.“ Wer nicht lachen kann und wer den Humor der Anderen nicht teilt, gehört nicht dazu. Nur logisch also, dass dieser Bösewicht sich „Joker“ nennt: Es ist die Verhöhnung dessen, was die anderen zusammenhält.
All dem ziemlich genau zwei Stunden zuzusehen, ist packend – was vor allem an Joaquin Phoenix liegt, der seit Lynne Ramsays grandiosem A Beautiful Day (2017) einmal mehr eine echte körperliche Verwandlung durchgemacht hat. Sein Arthur Fleck besteht nurmehr aus Haut und unförmigen Knochen. Wenn er sich beim Umziehen mit gekrümmtem Rücken die Schuhe bindet, meint man, ein Monster breche jeden Moment durch seine gräuliche Haut. Man schaut gebannt auf seine schiefen Zähne, auf die grauen Haare, die alternde Haut und die rauchgelben Fingerkuppen. Sie gehören nicht nur der Figur, sondern auch dem Schauspieler. In der vielleicht mitreißendsten Szene tanzt der Joker nach vollendeter Verwandlung in kostümierter Pracht eine Treppe hinunter. Wir sehen Arthur Fleck, der auf dem Weg in den Abgrund das Elend hinter sich lässt. Wir sehen aber auch einen gebeutelten Menschen, der trotz allem lacht. Nicht nur dieses Bild zeigt uns, dass Lachen auch heißen kann, sich über prekäre Umstände zu erheben und sich gegen Autoritäten aufzulehnen.
Das gibt einem Film, der eigentlich von der Geburt eines psychotischen Mörders handelt, hoffnungsvollen Drive. Und das ist unheimlich begeisternd. Dabei können Cineasten und Batman-Fans allerhand Referenzen ausmachen (über die schon viel geschrieben und gesagt wurde) – allen voran zu Martin Scorseses Taxi Driver (1976) und King of Comedy (1982).
Todd Philipps ist eine Comic-Adaption gelungen, die keine Knall-Effekte und Blockbuster-Action braucht. Joker ist entgegen Gerüchten auch nicht übermäßig brutal. Er destilliert die Essenz aus dem Joker-Stoff und lädt zum Nachdenken ein, ohne schwerfüßig zu werden. Dafür sorgt übrigens auch der tolle Soundtrack.
Ja: Der Anfang hat seine Längen. Es gibt einen allzu plakativ vorgetragenen Plot-Twist à la Fight Club (1999). Die Ästhetik und die filmische Erzählung gehen insgesamt nicht die innovativsten Wege. Und ja: Comic-Fans mag es stören, dass Gotham City hier sehr weltlich daherkommt oder dass der Figur des Joker sonstwie Unrecht getan wurde. Man könnte solche Schwächen sehen. Will ich aber nicht.
Ich finde, man sollte sich Todd Philipps Joker unbedingt anschauen – schon um Joaquin Phoenix Verkörperung mit denen von Jack Nicholson (1989), Heath Ledger (2008) oder Jared Leto (2016) zu vergleichen. Aber auch, um darauf zu achten, ob es einem nach dem Film nicht vielleicht mal kurz im Hals stecken bleibt – das Lachen.
Joker läuft seit dem 10. Oktober 2019 in den deutschen Kinos.
Beitragsbild & Video (c) Warner.