Emma Thompsons präzise Darstellung erdet das durchdachte Skript Ian McEwans, der mit dem feinmaschigen Geflecht von Gerichtsdrama und Charakterporträt nach On Chesil Beach erneut mit einem selbst adaptierten Roman im Kino vertreten ist. Richard Eyres Kontemplation über die Opfer, die das Erfüllen der eigenen individuellen Moralansprüche verlangt, ist bei Weitem das spannendere Werk, vorrangig dank der psychologischen Komplexität, die Thompson der profunden Hauptfigur verleiht. Richterin Fiona Maye ist jene Art Protagonistin, die fast nie auf der Leinwand erscheint und wenn, dann als Verkörperung kümmerlicher Klischees.
Solchen verweigert sich Thompson entschieden in einer Inszenierung, die ganz auf ihren inneren Konflikt fokussiert ist. Die kompetente Urteilsfällung in einer endlosen Reihe ethisch kontroverser Gerichtsfälle fordert von der streng rationalen Juristin eine emotionale Abgrenzung, die sie auch auf privater Ebene nicht mehr ablegen kann. Die Begegnung mit dem sensiblen jungen Adam (Fionn Whitehead), über dessen Krebsbehandlung Maye entscheiden muss, konfrontiert sie mit einem unter beständigen Neutralitätsanforderungen begrabenen, impulsiven Sentiment. Parallel dazu führt eine Ehekrise ihr die familiären Konsequenzen des seelischen Rückzugs vor Augen.
Die Entfremdung von ihrem Lebenspartner Jack (Stanley Tucci) versteckt die unerschütterliche Hauptfigur ebenso pragmatische hinter Arbeitsroutine wie ihre musische Leidenschaft. Zweite wird zum Schlüssel, der dem von romantisierten Opferphantasien und religiösen Dogmen umnebelten Adam zufällt. Taktvoll umgeht der Plot die reißerische Implikation der Fixierung, die der 18-Jährige für seine Retterin entwickelt. Seine naiven Fragen über Kunst und Ethik erschüttern ihre nüchterne Fassade, die stille Wehmut verbirgt: Trauer um ein freies Temperament, dessen Ersticken in der von subtiler Allegorik getragenen Inszenierung ein ambivalenter physischer Tod spiegelt.
Kinostart: 30.08.2018
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